Montag, 16. Juni 2008

Vertiefung: Hans Magnus Enzensberger

Einleitung

Im Rahmen einer Lehrveranstaltung habe ich mich kürzlich mit Hans Magnus Enzensberger auseinandergesetzt. Dabei ist mir erst bewusst geworden, dass seine Medientheorie bereits in Richtung Web 2.0 gelesen werden kann. Deshalb möchte ich mich an dieser Stelle mit Hans Magnus Enzensberger beschäftigen.

Zu Beginn stelle ich Hans Magnus Enzensberger kurz bevor, bevor ich Zitate bzw. Paraphrasen aus dem „Baukasten zu einer Theorie der Medien“ anführe. In Klammer befindet sich die jeweilige Seitenzahl der unten angeführten Referenzliteratur.

Hans Magnus Enzensberger (*1929) verfasste 1970 den Essay „Baukasten zu einer Theorie der Medien“. Weiters analysierte er deutsche Großmedien wie „Spiegel“, „Frankfurter Allgemeine“ und „Bild“. Er prägte Begriffe wie den der „Bewusstseinsindustrie“, den er von Adorno und Horkheimer („Kulturindustrie“) überholte. Hans Magnus Enzensberger ist Lyriker, Essayist, Zeitdiagnostiker, Vordenker und laut dem italienischen Marxisten Antonio Gramsci ein „großer Intellektueller“ (Glotz 1997, 7).


Baukasten zu einer Theorie der Medien, Kursbuch 20, März 1970

„Das offenbare Geheimnis der elektronischen Medien […] ist ihre mobilisierende Kraft.“ (98)
Die elektronischen Medien machen erstmals in der Geschichte möglich, dass Massen an gesellschaftlichen Prozessen mitwirken können. Dadurch könnten die Kommunikationsmedien, die bisher den Namen zu Unrecht tragen, ihre wahre Funktion erlangen. In der heutigen Gestalt führen Fernsehen und Film nicht zur Kommunikation sonder zu deren Verhinderung. Diese Medien lassen keine Wechselwirkung zwischen Sender und Empfänger zu. Das Feedback wird auf das Minimum reduziert (99).
Die Technik kennt keinen Unterschied zwischen Sender und Empfänger. Ein Transistorradio kann, von seinem Bauprinzip her, auch ein potentieller Sender sein. Die Entwicklung vom reinen Distributions- und Kommunikationsmedium ist kein technisches Problem. Sie wird aus politischen Gründen bewusst verhindert.

„Die neuen Medien sind ihrer Struktur nach egalitär.“ (107) Ein Schaltvorgang ermöglicht die Teilnahme im Gegensatz zu älteren Medien (Buch, Tafelschreiben, …), die nur einer begrenzten Gruppe zugänglich sind.
Die neuen Medien heben die Bildungsprivilegien auf, damit auch das kulturelle Monopol der bürgerlichen Intelligenz (107).

Medien besitzen eine Geschichte und tragen nicht zum Schwund des geschichtlichen Bewusstseins bei. Erstmals kann durch die Medien historisches Material festgehalten und jederzeit vergegenwärtigt werden. Dadurch führen sie den Menschen vor, dass Geschichtsschreibung immer Manipulation ist. Alle können auf die Informationen zugreifen – augenblicksbestimmter Zugriff (108).

Mediengeräte sind Konsumtions- und Produktionsmittel gleichzeitig. Da alle darauf Zugriff haben, sind sie sozialistische Produktionsmittel. Elektronische Medien unterscheiden nicht zwischen Produzenten und Konsumenten. Der Gegensatz wird durch ökonomische und administratorische Vorkehrungen künstlich hergestellt (108).
Beispiel: Telefon: für jede/n zugänglich
Telegraf: in der Hand von bürokratischen Organisationen

Zusammenfassung
Repressiver Mediengebrauch
Zentral gesteuertes Programm
Ein Sender, viele Empfänger
Immobilisierung isolierter Individuen
Passive Konsumentenhaltung
Entpolitisierungsprozess
Produktion durch Spezialisten
Kontrolle durch Eigentümer oder Bürokraten

Emanzipatorischer Mediengebrauch
Dezentralisierte Programme
Jeder Empfänger ein potentieller Sender
Mobilisierung der Massen
Interaktion der Teilnehmer, feedback
Politischer Lernprozess
Kollektive Produktion
Gesellschaftliche Kontrolle durch Selbstorganisation

Meine Meinung

Klammert man den politischen Hintergrund Enzensbergers aus, plädiert er dafür, dass alle Menschen Zugang zu den Medien haben und auch mitwirken können. Sie sind nicht nur (passive) EmpfängerInnen sondern zugleich auch (aktive) SenderInnen. Mit anderen Worten, jede/r kann im Sinne von Web 2.0 Content produzieren („Kollektive Produktion“) und andere daran teilhaben lassen. Natürlich muss eingeräumt werden, dass „alle“ relativierend gesehen werden muss.

Tim O’Reilly definiert Web 2.0 wie folgt:
Web 2.0 is the network as platform, spanning all connected devices; Web 2.0 applications are those that make the most of the intrinsic advantages of that platform: delivering software as a continually-updated service that gets better the more people use it, consuming and remixing data from multiple sources, including individual users, while providing their own data and services in a form that allows remixing by others, creating network effects through an "architecture of participation," and going beyond the page metaphor of Web 1.0 to deliver rich user experiences.“

Verwirft man den sozialistischen Wortlaut Enzensbergers, kann man sich die Frage stellen, ob er als „Vordenker“ von Web 2.0 bezeichnet werden kann. Die Partizipation aller steht im Vordergrund.

Literatur

Glotz, Peter (Hrsg.) (1997): Hans Magnus Enzensberger. Baukasten zu einer Theorie der Medien. Kritische Diskurse zur Pressefreiheit. München: Verlag Reinhard Fischer.

2 Kommentare:

Anonym hat gesagt…

Hallo Eva!

Ich weiß nicht ob du die Plakate in IBK gesehen hast, aber es gibt eine Austellung von Hans Magnus Enzensberger in den Kristallwelten:

"WortSpielZeug" von Hans Magnus Enzensberger

Die Ausstellung in der Kunstgalerie der Kristallwelten läuft bis 9. November 2008

Einen Mitschnitt der Austellungseröffnung findest du unter: http://kristallwelten.swarovski.com/Content.Node/aktuelles/sonderausstellungen/streaming_video.php


lg Bianca

Eva hat gesagt…

Liebe Bianca,
danke für die Information. Die Plakate habe ich noch nicht gesehen.
Freue mich sehr über deine Infos.

Liebe Grüße von Eva